Stresstest statt Prüfvermerk: Welche Fragen sind zu stellen?

20. Juli 2022

Die Vorhersage, dass der „Prüfvermerk“ des BMUV zur Laufzeitverlängerung der letzten deutschen Kernkraftwerke nicht – wie von dessen Autoren erhofft – geeignet war, die aufkeimende Diskussion um eine Abschaffung des Atomstromverbots in Deutschland zu beerdigen, hat sich mehr als bestätigt. Heute kann man im Gegensatz dazu sagen: Ein Atomausstieg zum Jahresende ist vom Tisch!  Die Ampel-Parteien ringen nur noch darum, wie sie den durch die Energiekrise notwendig gewordenen Schwenk hin zur Kernkraft ihren Anhängern kommunizieren können.

Der Hintergrund ist eigentlich trivial, muss aber aufgrund von irritierenden Äußerungen auch von Energiewende-Wissenschaftlern klarstellend erwähnt werden. Rekordhohe Energiepreise haben das Potenzial, die deutsche Wirtschaft extrem in Mitleidenschaft zu ziehen und Lieferketten dauerhaft zu zerstören. Preise sind Knappheitssignale. Hohe Energiepreise erfordern daher Whatever-it-takes-Maßnahmen der Politik, um der Energieknappheit angebotsseitig zu begegnen. Die Bundesregierung hat dies erkannt, bislang aber auf der kurzfristigen Seite nur Maßnahmen zur verstärkten Kohleverstromung ergriffen. Dabei wäre eine Rückholung der 2021 abgeschalteten Kernkraftwerke und eine Aufhebung des Atomstromverbots eine preisgünstige und verhältnismäßig schnell wirksame Maßnahme zur Angebotsausweitung.

Zurück zum „Prüfvermerk“. Leider entstand er ohne Einbindung kompetenter Experten, wie sich an den zahllosen und überflüssigen fachlichen Fehlern in Bezug auf Technik, Brennstoffversorgung, Wirtschaftlichkeit und genehmigungsrechtlicher Situation aufzeigen ließ, die nach unserer schon erwähnten Erstanalyse auch von Fachverbänden, dem TÜV und in verschiedenen Rechtsgutachten angesprochen wurden. Im politischen Berlin hat daher das federführende BMUV viel Glaubwürdigkeit eingebüßt. Ganz im Gegenteil dürfte die intensiv geführte Mediendiskussion um den zweifelhaften Prüfvermerk des BMUV mit eine Ursache dafür sein, dass sich ausweislich vieler Umfragen mittlerweile rd. zwei Drittel der Deutschen weiterhin Atomstrom wünschen.

Nun hat die Bundesregierung einen „Stresstest“ zur Notwendigkeit einer Laufzeitverlängerung angekündigt. Nachdem eine kürzlich durchgeführte „Sonderanalyse Winter 2022/23“ der Übertragungsnetzbetreiber im Auftrag des BMWK zum nicht überraschenden Ergebnis kam, dass die Versorgungssicherheit mit Strom gegeben ist, wenn es keine Versorgungsprobleme mit Gas und Strom aus dem Ausland gibt, und wenn der Winter durchschnittlich wird, sollte die Politik darauf achten, den anstehenden Stresstest zur Notwendigkeit einer Laufzeitverlängerung auf realistischen Annahmen fußen zu lassen.

Unsere Forderung ist daher, für den Stresstest zur Beendigung des Atomstromverbots realistische Annahmen zu treffen und diesmal eine professionelle Risikoanalyse durchzuführen. Unter anderem sollte im Stresstest berücksichtigt werden, dass

  1. Nordstream 1 nicht mehr den Vollbetrieb aufnehmen könnte,
  2. nicht alle französischen Kernkraftwerke nach den wegen Covid verschobenen Wartungsarbeiten rechtzeitig wieder in Betrieb gehen,
  3. Strommangellagen in Nachbarländern dazu führen könnten, dass deren Politiker den Stromexport nach Deutschland unterbinden,
  4. Transporteinschränkungen für Kohle, Öl und Gas gerade im süddeutschen Raum bestehen können,
  5. Witterungsrisiken professionell gehandhabt werden, also auch Extremwetterlagen durchgespielt werden, einschließlich eines sehr kalten Winters und längerer Dunkelflauten,
  6. Gasheizungen bei Versorgungsengpässen von Gas durch Stromheizungen ersetzt werden und diese den Strombedarf erhöhen, und
  7. aufgrund politischer Zwänge die Braunkohleverstromung schneller beendet werden muss als gesetzlich möglich („Lützerath bleibt“).

Für alle diese sieben Stressfaktoren gibt es bereits heute robuste Hinweise, dass sie im Winter eine gewichtige Rolle spielen können. Die Politik hat den verfassungsrangigen Auftrag, die Versorgung mit Energie sicherzustellen. Wir werden die Debatte verfolgen und darauf achten, dass mindestens diese sieben Risikodimensionen in den Stresstest einfließen.